Die Zentralbanken: Zwischen Pflichterfüllung und Machtmissbrauch

Die Zentralbanken: Zwischen Pflichterfüllung und Machtmissbrauch

  • April 2021

In der jüngeren Vergangenheit mussten die DWN regelmäßig über Versäumnisse der Politik berichten. Der Umgang mit der Coronakrise ist das neueste Beispiel für politisches Missmanagement – mit seinen allgegenwärtigen Konsequenzen.

Angesichts des großen öffentlichen Fokus auf die Corona-Pandemie und die umstrittenen Gegenmaßnahmen gehen die neuesten Maßnahmen der EZB und anderer Zentralbanken in der öffentlichen Wahrnehmung fast schon unter. Und das, obwohl gewissermaßen ein neues Zeitalter im monetären (End)Spiel der Notenbankiers begonnen hat.

„A billion here, a billion there, and pretty soon you´re talking real money.“ Zu Deutsch: „Eine Milliarde hier, eine Milliarde dort, und schon bald geht es um relevante Geldsummen.“ Diesen berühmten Satz soll der ehemalige republikanische US-Senator Everett Dirksen in Hinblick auf das Ausgabeverhalten der damaligen Regierung unter Präsident Lyndon B. Johnson (1963-1969) geäußert haben. Seitdem haben Politiker und Zentralbanker die monetäre Leiter beständig weiter nach oben erklommen, sodass es heute heißen müsste: „Eine Billion hier, eine Billion dort … “

Zumindest in den Industrie-Nationen arbeiten die Zentralbanken tatsächlich kaum noch in Bereichen unter einer Billion (Tausend Milliarden!) Dollar beziehungsweise Euro. Die Stabilisierung des – durch die Anhäufung von Schuldenbergen sowie durch konstante Markteingriffe der Notenbanken – marodierten Finanzsystems erfordert mit jeder neuen Krise ein Vielfaches der Rettungssumme, die für die Bewältigung der vorherigen Krise notwendig war. Mit dem frisch geschöpften Geld werden dann vorwiegend Staatsanleihen aufgekauft und deren Renditen gedrückt. Infolgedessen wird die durch die Nullzinspolitik ohnehin schon extrem verzerrte Zinslandschaft noch tiefer in absurde Zustände getrieben. Das infolge der Coronakrise aufgelegte PEPP-Ankaufprogramm der EZB wird mit der nächsten Verlängerung – die sicher kommen wird – bald die Summe von zwei Billionen Euro überschreiten.

Was genau das Ankaufen von Staatsschulden mit der Bekämpfung der Pandemie-Auswirkungen zu tun hat? Nun, eigentlich gar nichts. Offiziell sollten Zentralbanken auch nicht dafür zuständig sein. Aber im Laufe der Zeit haben sich ihre Kompetenz- und Aufgabenfelder immer mehr erweitert.

Im 17. Jahrhundert wurden die ersten Zentralbanken in Europa gegründet – um die staatliche Kriegsfinanzierung sicherzustellen. Natürlich nur inoffiziell, denn normalerweise sind die Bürger eines Landes wenig begeistert, wenn ihre Regierung die Inflationierung von Staatschulden auf die Agenda setzt. In letzterer Hinsicht sind sich die Verantwortlichen gewissermaßen treu geblieben, denn tatsächlich ist die heute zunehmend außer Kontrolle geratene Praxis des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Zentralbanken nichts anderes als eine (indirekte) monetäre Staatsfinanzierung.

Was im Laufe des 20. Jahrhunderts neu dazukam, sind Zielsetzungen wie die „Sicherstellung der Geldwertstabilität“ und die „Stabilisierung der Gesamtwirtschaft“. Solche Ziele kann man schön flexibel interpretieren, weshalb die heutigen Notenbanken faktisch allmächtig sind. Allmächtig, aber leider nicht allwissend. Und so schrammen sie immer wieder – mal mehr, mal weniger knapp – an den eigenen Zielvorgaben vorbei.

Die Reaktionen der Zentralbanken auf die Corona-Krise unterstreichen nur das zweifelhafte Agieren von Institutionen, die einerseits zwar offiziell unabhängig sind und im Laufe der Geschichte ein Eigenleben entwickelt haben, andererseits aber auch sehr eng mit der Politik verbandelt sind. Notenbanker sind letztlich auch nur Bürokraten, selbst wenn sie gutmeinende (in der Regel wollen sie tatsächlich nur das Beste) Währungshüter sein wollen. Ihnen dermaßen viel Macht zu geben, ist gefährlich, weil bürokratische Institutionen dazu neigen, sich immer weiter auszudehnen.

Ob der Begriff „Währungshüter“ aber überhaupt angebracht ist, darf angesichts der Zentralbank-Exzesse der letzten Jahrzehnte durchaus in Frage gestellt werden. Wer in die Wirtschaftsgeschichte eintaucht, wird außerdem feststellen, dass diese Exzesse nichts wirklich Neues sind. Auch für die Geschichte des Geldes gilt, was schon Mark Twain wusste: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

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