Brexit: Denn sie wissen nicht, was sie wollen

Brexit: Denn sie wissen nicht, was sie wollen

  • April 2019

Es besteht noch immer die Möglichkeit, dass die enttäuschten Verlierer des britischen Referendums den Willen des Volkes verhindern, obwohl hochrangige Politiker aller Parteien versprochen hatten, sich an das Ergebnis des Referendums zu halten. Eine damals von der Regierung verbreitete Broschüre erklärte ausdrücklich: „Dies ist Ihre Entscheidung. Die Regierung wird das, was Sie entscheiden, umsetzen.“ Darauf folgte viel Kritik, denn diese Broschüre wurden bereits vor dem Referendum verbreitet – offenbar um die Finanzierungsregeln im Hinblick auf nationale Referenden zu umgehen.

Wie wir alle wissen, sinkt das Vertrauen in die Regierungen seit vielen Jahren – und wenn das Vereinigte Königreich seine Versprechen nicht hält, wird dies eine Katastrophe für die Demokratie darstellen. Zudem untergräbt es dieses schwer zu definierende Gut, das die Engländer Fair-Play nennen.

Das grundlegende Problem bei der Entwicklung der EU ist letztlich eine unterschiedliche Philosophie – und jede unvoreingenommene Untersuchung der Geschichte wird dies bestätigen. Es hat zwei Visionen gegeben. Zum einen, was man die klassische liberale Tradition nennt, und zum anderen die sozialistische Vision. Beide Visionen kann man in der Struktur und Arbeitsweise der Europäischen Union sehen – die schlichtweg alles verkompliziert.

Der Brexit repräsentiert den Glauben, dass der erste der bessere Weg sei. Es lohnt sich vielleicht, daran zu erinnern, dass Churchill gesagt hat, wir müssten gegenüber den Besiegten großmütig sein und guten Willen zeigen. Das war auch der Grund, weshalb die Briten Erhard unterstützten – anders als einige extreme Amerikaner, die Deutschland zu einer Agrarwirtschaft zurückbringen wollten. Churchill erinnerte auch an die verheerende Friedenskonferenz von Versailles, die von seinem Freund, dem berühmten Ökonom John Maynard Keynes, in seinem Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles“ verurteilt wurde. Alle jungen Ökonomen und auch alle jungen Leute sollten dieses Buch einmal lesen.

Dieser Geist Churchills ist das, was jetzt für die zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zu Europa benötigt wird – und nicht eine Politik, bei der versucht wird, das Vereinigte Königreich zu bestrafen, weil es einen anderen Weg einschlagen will.

Was auch immer sich aus der Brexit-Situation entwickelt, eine Sache ist klar: Die beiden Visionen werden nicht verschwinden. Der Unmut ringsherum wird wachsen.

Doch zwei andere Dinge sind gewiss. Erstens: das Vertrauen gegenüber Brüssel, bei irgendeiner Angelegenheit die Führung zu übernehmen, liegt auf einem absoluten Tiefpunkt. Zweitens: Will die EU bestehen, so muss sie auf dem Weg nach vorn wieder zu einer Art Konsens zurückkehren.

Die von Premierministerin May akzeptierte Aufschiebung des Exits bis April oder auch Mai oder auch gar nicht hat die Spaltungen im Vereinigten Königreich und in der EU nur vergrößert. Eine weitere Verzögerung wird die Lage noch verschlimmern. Die jüngsten Abstimmungen im britischen Parlament zeigen, dass es ein klares Gefühl gibt, dass die EU nicht angemessen handelt und in Zukunft keinen befreundeten Nachbarn will. Sie agiert lediglich aus einer beherrschenden Machtposition heraus – selbst wenn dies zum Nachteil für die eigenen Bürger ist.

Wir werden jetzt und auch in den kommenden Jahren im britischen Parlament weitere Turbulenzen erleben, da es gegen die Grundregeln der Demokratie verstößt, wenn das Brexit-Versprechen nicht eingelöst wird. Ein Desaster in der ältesten und beständigsten Demokratie in Europa! Traurigerweise zeigt es, was bereits seit einigen Jahren im Gange ist. Die Macht geht an multinationale Unternehmen und an nicht gewählte Superbürokraten in Brüssel über. Es gibt auch eine Tendenz bei den Eliten: Sie sagen, dass der Mann auf der Straße nicht weiß, worum es bei Wahlen geht. Als hätte dessen Stimmt keinen bis wenig Wert. Eine Gefahr für die Demokratie! Ein Rückfall zu den Vorstellungen vor dem allgemeinen Wahlrecht, als nur gebildete und wohlhabende Menschen wählen konnten. Durch das allgemeine Wahlrecht wurde anerkannt, dass der Mann ohne Besitz oder Hochschulbildung seine Stimme sogar mehr braucht, weil sie seine einzige wirkliche Einflussmöglichkeit auf die Macht ist. Wie die Amerikaner sagen: Die Leute müssen in Bezug auf Politiker die Macht haben, „die Gauner rauszuwerfen“.

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