Putins Wette: Russland zwischen Abseits und Comeback

Putins Wette: Russland zwischen Abseits und Comeback

  • Dezember 2018

Im kommenden Jahr feiert der russische Präsident Wladimir Putin ein seltenes Jubiläum: Er wird dann seit 20 Jahren an der Macht sein. 1999 wurde Putin Ministerpräsident. Als Präsident war Boris Jelzin noch der Vertreter Russlands beim G8-Gipfel in Köln. Beim Gipfel im Juni 2000 in Okinawa stand neben Gerhard Schröder, Jacques Chirac, Bill Clinton, Tony Blair und Romano Prodi schon der neue starke Mann im Kreml. In China war Jiang Zemin Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Kein anderer aktiver Politiker der Welt kann aktuell auf eine solch lange Erfahrung zurückgreifen wie Putin.

Putin hatte 2001 bei einer Rede im Deutschen Bundestag den Willen Russlands zur Zusammenarbeit in Europa und besonders mit Deutschland betont und gesagt: „Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher – ganz aufrichtig und ehrlich gesagt – Ungeschicktheit schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.“

Zwanzig Jahre später hat sich das deutsch-russische Verhältnis und das Verhältnis Russlands zur EU nicht in der Weise entwickelt, wie Putin und die ihm „standing ovations“ bereitenden Abgeordneten des Bundestags erwartet hatten. Der jüngste Konflikt im Asowschen Meer zeigt, dass die geopolitischen Ziele der NATO eine größere Rolle spielen als die politischen Pläne der europäischen Regierungen. Der Wechsel in der US-Präsidentschaft hat zu keiner grundlegenden Veränderung der US-Militärpolitik im Hinblick auf die Ukraine geführt. Gemäß der neuen NATO-Doktrin, die auch die offizielle deutsche Verteidigungsdoktrin ist, gilt Russland als Feind – nicht als Partner.

Putins Wette auf die EU und Deutschland hat sich demnach nicht als Erfolg erwiesen. Daher orientiert sich Russland nun in andere Richtungen: Im Nahen Osten sind die Russen wegen des Syrien-Krieges wieder eine Großmacht. Mit Saudi-Arabien bahnt sich eine enge Partnerschaft an, mit der Türkei existiert eine solche bereits seit geraumer Zeit. Mit China verbindet Russland wirtschaftliche Interessen im Rohstoff-Bereich und im Zuge der Neuen Seidenstraße.

Der Konflikt mit den USA liegt jedoch auch im Interesse zweier mächtiger Lobbys: Je mehr Bedrohungsszenarien wechselseitig beschworen werden, desto stärker wird die Position des militärisch-industriellen Komplexes – in beiden Staaten. Die entsprechenden Budget-Umschichtungen gehen zu Lasten der Verbreiterung des Wohlstandes in beiden Gesellschaften. Sie führen zur Einschränkung der Menschenrechte – in Russland wie in den USA. Und sie befördern die bei Rüstungsprojekten system-immanente Korruption, wodurch die demokratischen Elemente in beiden Staaten ausgehöhlt werden.

Putin will sich bei seiner neuen Wette allerdings nicht festlegen: Er taktiert in einer Mischung aus Poker und Schach. Das Interesse Russlands an einer vollen Integration in die westliche Gemeinschaft hat abgenommen, weil weder die Russen noch die Asiaten in Europa den Markt oder das marktwirtschaftliche Modell der Zukunft sehen. Die vielen Verwerfungen, die zwischen den Verbündeten seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump zu beobachten sind, lassen auch die Mitgliedschaft in starren multilateralen Allianzen wie der EU (als Partner), der G8 (wo Russland immer noch ausgeschlossen ist) oder den UN (die nur noch blockieren) als wenig erstrebenswert erscheinen.

Putin setzt bei seiner Wette auf Geduld – das hat er mit den Chinesen gemein. Beide Länder wollen eine neue Weltordnung, von der sie noch nicht wissen, wie sie genau aussieht. Allerdings sind beide Großmächte entschlossen, kein neues System mehr zu akzeptieren, in dem die USA im Verbund mit Großbritannien global nach Belieben intervenieren können – sei es über die Finanzmärkte, mit Sanktionen oder militärisch. Putin weiß, dass dieser Prozess nicht kurzfristig abgeschlossen sein wird. Er sagte 2001 im Bundestag: „Heute sind wir verpflichtet zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.“ Diese Flexibilität gilt auch noch 20 Jahre später – und Russland hat sich in dieser Hinsicht elastischer erwiesen als der Westen. Putin hat mehrere Wetten laufen und könnte mit diesem pragmatischen Ansatz die möglichen Umwälzungen in der globalen Ordnung erfolgreich überstehen.

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