Kampf um Europa: Die EU am Scheideweg

Kampf um Europa: Die EU am Scheideweg

  • Mai 2017

Deutschland und Frankreich wollen einen Fahrplan für die umfassende Reform der Eurozone vorlegen. Diese ist nach dem Austritt Großbritanniens auch unumgänglich: Mit den Briten tritt nämlich nicht nur ein Kleinstaat aus, sondern eine der bisher führenden EU-Nationen. Die Briten sind Nettozahler. Wenn sie weg sind, müssen andere für den Beitrag aufkommen.

Der Hauptfokus der EU liegt zu Beginn der Verhandlungen eindeutig darauf, ein Zeichen nach innen zu setzen: Niemand soll ermutigt werden, es den Briten gleichtun zu wollen. Daher wird zunächst ein apokalyptisches Repertoire intoniert. Allerdings könnte dieses auch als Pfeifen im Walde interpretiert werden. Die Analyse zeigt nämlich, dass die Briten die besseren Karten haben: Sie haben ein Handelsdefizit mit der EU und demnach operativ weniger zu verlieren als einige EU-Staaten.

Besonders betroffen ist Deutschland: Großbritannien ist der drittgrößte Handelspartner. Das kann man nicht einfach wegstecken. In Berlin regieren allerdings keine Wirtschafts- oder Finanzfachleute, sondern Juristen und politische Visionäre. Diese wollen die Flucht nach vorne antreten: Der Austritt der Briten soll als Initialzündung für eine stärkere Integration in der Eurozone genutzt werden.

Den Anfang soll die Stärkung der deutsch-französischen Achse machen: Der neue französische Präsident Emmanuel Macron hatte die engere Verzahnung von Deutschland und Frankreich bereits vor einiger Zeit gefordert. Dazu soll ein gemeinsames Budget der Eurozone gehören. Langfristig wird dieses Konzept allerdings nur funktionieren, wenn die Eurozone auch zu einer echten Transferunion wird.

Macron will Investitionen in der Eurozone durch einen neuen Fonds fördern. Ziel sei „frisches Geld“ für Investitionen. Es wird allgemein erwartet, dass Deutschland diesem Ansinnen zustimmen wird. Die Idee könnte sein, dass mehr Geld in die Infrastruktur gesteckt wird – wovon deutsche und französische Unternehmen profitieren sollen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat nach der Frankreich-Wahl signalisiert, dass Deutschland bereit sei, von seiner traditionellen Ablehnung einer Transferunion abzurücken. Schäuble sagte, man könne „eine Gemeinschaft unterschiedlich starker Staaten nicht ohne einen gewissen Ausgleich“ bilden. Eine Union könne nicht existieren, wenn die Stärkeren nicht für die Schwächeren einstünden. Wie weit die Transfers gehen und wie viel umverteilt werden soll, müsse in einer Demokratie der Souverän entscheiden.

Schäuble signalisierte zudem, dass er keinen Widerspruch einlegen werde, falls die EU-Kommission mögliche Haushaltsdefizite Frankreichs absegnen sollte.

Eine Transferunion würde notwendigerweise auch eine Bankenunion und eine gemeinsame Einlagensicherung bedeuten. Dies haben vor allem die öffentlichen Banken in Deutschland bisher stets abgelehnt, weil sie die Sparguthaben im internationalen Investmentbanking nicht ins Risiko schicken wollen.

Mit der Umverteilung von Steuergeldern und der gemeinsamen Einlagensicherung würde der Weg der Schuldenvergemeinschaftung fortgesetzt, der bereits mit dem ESM und dem OMT-Programm der EZB eingeschlagen wurde. Über diesen Weg herrscht in Deutschland bei allen politischen Parteien Einigkeit. Referenden oder Volksbefragungen sind in Deutschland zu solchen Themen nicht vorgesehen.

Die CDU kann bei der Bundestagswahl mit einem klaren Wahlsieg rechnen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es nach der Wahl eine Fortsetzung der Koalition von Union und SPD geben wird. Der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz wird nach eigener Aussage jede stärkere Integration unterstützen.

Man kann davon ausgehen, dass eine von der CDU geführte Bundesregierung im Herbst die Integration der Eurozone vorantreiben wird. Die Herausforderung wird jedoch darin bestehen, dass gleichzeitig das Verhältnis der EU-Staaten mit Großbritannien neu verhandelt werden muss. In einer Phase des Hauens und Stechens im Wettstreit der nationalen Interessen fällt es naturgemäß schwer, neue Institutionen anzuschieben und auch mit Leben zu füllen.

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