Idyll Europa: Schulden, Machtkampf, Wahl

Idyll Europa: Schulden, Machtkampf, Wahl

  • April 2014

Die Wahl zum Europaparlament erinnert uns vor allem an die Unvollkommenheit der Demokratie in Europa. Das EU-Parlament hat zwei Makel: Es kann zum einen keine Gesetze einbringen, wie es die Aufgabe eines jeden echten Parlaments wäre. Und es kostet viel Geld.

Der Mangel an Kompetenzen liegt in der grundlegend fehlerhaften Struktur der EU: Die Entscheidungen gehen nicht vom Volk aus wie in jeder echten Demokratie. Die Willensbildung ist nicht das Ergebnis einer breiten Entscheidungsfindung an der Basis. Die Entscheidungen fallen in den Hinterzimmern in Brüssel: Lobbyisten treffen Parteienvertreter – von niemandem kontrolliert, von niemandem zu durchschauen. Am Ende kämpft das EU-Parlament einen Kampf gegen Windmühlen. Die EU-Kommission ist nichts anderes als ein Katalysator der handfesten nationalen Interessen, die über die Kommission ausgefochten werden. Diese Interessen sind manchmal im Interesse der Konsumenten, meist jedoch im Interesse einer Branche oder einer nationalen Industrie.

Zwei Beispiele: Der Subventionswahnsinn der erneuerbaren Energien in Deutschland wäre ein klassischer Fall, in dem die EU die Bürger eines Nationalstaates vor einem konkreten Exzess der nationalen Regierung schützen könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die EU-Kommission kann dem mächtigen Nettozahler Deutschland nicht in die Parade fahren und beschließt, statt zu regulieren, eine windelweiche Richtlinie, mit der deutsche Steuergelder weiter als sicheres Einkommen für eine Branche verbucht werden können.

In Frankreich wird der marode Autobauer vom französischen Steuerzahler am Leben erhalten – weil die Kommission es nicht wagt, sich gegen den mächtigen Mitgliedsstaat Frankreich durchzusetzen. Es ist immer der Steuerzahler, der die Rechnung für eine außer Kontrolle geratene Politik zu bezahlen hat. Das schließt auch die erheblichen Kosten für den bürokratischen Apparat in Brüssel ein. Es ist zwar zutreffend, dass die EU im Vergleich mit den Kommunalverwaltungen in Deutschland – und allen anderen Mitgliedstaaten der EU – bescheidene Ausmaße hat, doch das reicht als Legitimation nicht aus: Die EU wurde in vielen Staaten vor allem deshalb als neues innovatives politisches Projekt begrüßt, weil die Bürger der Korruption und der Machenschaften ihrer eigenen nationalen Regierungen überdrüssig waren. Vor allem junge Leute, die kosmopolitisch und weltoffen aufgewachsen sind, haben mit der EU die Hoffnung verbunden, dass der Mief aus den uralten Netzwerken und Seilschaften der nationalen Regierungen mit einem frischen Wind aus Brüssel und Straßburg vertrieben wird.

Doch das war nicht der Fall. Die Parteien, die in den Mitgliedstaaten die Demokratie schwer beschädigt haben, haben sich auch auf der EU-Ebene festgesetzt. Die nationalen Missstände wurden nicht aufgebrochen. Stattdessen haben sich die Unsitten aus den Hauptstädten auch in Brüssel ihren Weg gebahnt: Selbstbedienung, Realitätsverlust und Arroganz dominieren die politische Kultur. Die wenigen ehrenhaften Abgeordneten, die es auch im EU-Parlament gibt, sind Außenseiter.

Der belgische Politologe Pieter Cleppe vom Think Tank „Open Europe“ sieht ein grundsätzliches Problem: „Das Europäische Parlament wird zwar direkt gewählt, aber es reicht nicht, um auch eine legitime Vertretung der Bürger zu sein, die selbst wenig Vertrauen in die EU haben. In fast jeder Umfrage in fast jedem Staat sinkt das Vertrauen in die EU auf einen Tiefpunkt. Im vergangenen Jahr lag in Italien das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber der EU bei nur 29 Prozent. Im Jahr 2000 waren es noch 57 Prozent. Der Euro hat mit dieser Entwicklung eine Menge zu tun. Das Scheitern des Euro untergräbt all die guten Aspekte der EU.“ Die EU hat nämlich den Kardinalfehler wiederholt, der bereits allen Mitgliedstaaten wie eine Seuche anhaftet: Sie alle glauben, dass die Gesellschaft nur dann funktioniert, wenn sie von einer auserwählten politischen Klasse – möglichst zentralistisch – in Grund und Boden regiert wird. Als höchstes Glück im Sinne von Goethes Faust verwirklichen diese Politiker ihre Ideologie im fortwährenden Drucken von wertlosem Geld.

Diese Maßlosigkeit dient nur dazu, über immer neue Schulden immer länger an der Macht bleiben zu können. Die Rechnung werden die kommenden Generationen bezahlen. Nach uns die Sintflut – das scheint das Motto einer Endzeit-Politik zu sein. Sie hat, von den nationalen Regierungen kommend, auch die schöne Idee Europa vergiftet.

Demokratische Institutionen sind in einem solchen Klima des finalen Abkassierens leider nur noch Staffage. Daher sind viele der Alternativen, die sich für die Wahl ins Europaparlament anbieten, nicht viel mehr als Glücksritter, Hasardeure oder falsche Propheten.

Die EU muss sich, will sie für die europäischen Ideale stehen, von innen und unten erneuern: Von innen, indem sie eine echte, tiefgreifende Demokratiereform unternimmt. Von unten, indem sie den europäischen Völkern die Entscheidung überlässt, wie sie vereinigt werden. Die europäische Idee ist zu wertvoll, um nur verwaltet zu werden.

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