Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Alleingang beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie hat den Weg für die Erneuerbaren Energien freigemacht. Milliarden an Steuergeldern wurden eingesetzt, um das Land mit Industrieanlagen zu überziehen. Ähnliches gilt für die Solaranlagen, die ebenfalls nur mithilfe massiver Fördermittel in den Markt gedrückt werden konnten.
Die deutsche Industrie kann mit dieser Entwicklung vorerst leben, weil die Konsumenten die Förderungen über den Strompreis gegenfinanzieren müssen. Doch mittelfristig muss insbesondere nach dem zusätzlich zu allen Maßnahmen beschlossenen „Aus“ für die Kohle eine Alternative her. Noch ist nicht klar, welche Maßnahmen die US-Regierung wirklich beschließen wird: Im April gab der neue Energieminister Rick Perry eine Studie in Auftrag, wie sich die Einspeisung der Erneuerbaren Energien auf den US-Grid auswirkt. Es ist zu erwarten, dass das Ergebnis des Gutachtens für die alternativen Energien nicht günstig sein dürfte. US-Präsident Donald Trump steht dem Pariser Klimaschutzabkommen skeptisch gegenüber. Er sagte bei seinem ersten CIA-Besuch, es sei ein Fehler gewesen, sich aus dem Öl zu verabschieden. Sein Außenminister Rex Tillerson kommt von ExxonMobil.
Für Deutschland könnte ausgerechnet der von vielen forcierte Abschied von den Verbrennungsmotoren zu einer energiepolitischen Existenzfrage werden. Wenn nämlich alle alten Autos verschwinden und die Konsumenten mehr oder weniger gezwungen werden, neue Autos zu kaufen, müssen diese Autos hergestellt werden. Das ist umweltschädlich und benötigt enorme Ressourcen.
Daher ist Deutschland fieberhaft auf der Suche nach liefersicheren Kapazitäten. Das in dieser Hinsicht wichtigste Projekt ist die Pipeline Nord Stream 2. Sie wird allerdings von Russland betrieben – und wird daher von den Amerikanern nach Kräften torpediert. Die US-Industrie hofft, den europäischen Markt mit LNG erobern zu können. Wichtigster Partner ist dabei Polen, wo als einzigem EU-Land bereits Fracking betrieben wird. Der Kalte Krieg gegen Russland dient auch dem Zweck, den Russen den EU-Markt streitig zu machen. Denn rechtlich kann die EU Nord Stream 2 nach eigener Einschätzung nicht verhindern. Daher wird die Diskussion auf die politische Ebene verlagert.
Der Vorstandsvorsitzende von Wintershall, das sich gerne an Nord Stream 2 beteiligen möchte, sieht diese Diskussion mit Argwohn: Mario Mehren sagte der russischen Zeitung Vedomosti: Er verstehe nicht, warum die Menschen in Europa in der Frage, ob Nord Stream 2 gebaut werden soll oder nicht, nur über politische Aspekte sprechen und diesbezüglich Befürchtungen haben, während überhaupt niemand an die technischen Fragen denke.
Mehrens Sprecher erklärte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten die Position des Wintershall-Chefs: „Wenn man sich das ukrainische Gasversorgungssystem anschaue, sei dieses veraltet. Die europäischen Verbraucher haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits Milliarden für den Gastransport durch die Ukraine bezahlt – Transitgebühren, die generell in den Gaspreisen enthalten sind. Er wisse nicht, wohin diese Gelder geflossen seien, aber in die Modernisierung und Wartung des Gastransportsystems der Ukraine wohl weniger. Sonst wäre dieses wohl besser intakt.“
Mehren selbst sagte im März: „Aber wir sind weiterhin davon überzeugt, dass Nord Stream 2 für Europa richtig und wichtig ist. Daher prüfen wir Möglichkeiten, das Vorhaben weiter zu unterstützen – und zwar nicht nur moralisch zu unterstützen. Denn Nord Stream 2 bedeutet eine Kapazität von zusätzlichen 55 Milliarden Kubikmetern Gas. Wettbewerbsfähiges Erdgas ohne Transitrisiko! Erdgas, das Europa braucht. Der Importbedarf der EU steigt. Im Jahr 2030 wird die EU mehr als 400 Milliarden Kubikmeter Erdgas importieren müssen.“
Um die nächste Energiewende in Europa hat ein Wettlauf begonnen, bei dem es auch um die Position Deutschlands in der EU geht. Daher spielen auch unsachliche Argumente, Ressentiments und harte Bandagen eine Rolle, die eigentlich nichts mit der nüchternen Suche nach dem besten Energiemix für Deutschland zu tun haben.