Können Sie sich noch an die Aussagen von Christine Lagarde aus den letzten Monaten des vergangenen Jahres erinnern? Die Inflation sei vorübergehend, so die EZB-Chefin; die Geldentwertung sei vor allem Corona-bedingten Sondereffekten zuzuschreiben. Schon bald werde die Teuerungsrate wieder auf einen Wert im Bereich der von der EZB angestrebten zwei Prozent fallen.
Und heute? Heute beträgt die Inflation in Deutschland das Zweieinhalbfache des angestrebten Werts. Im Dezember waren es 5,3 Prozent; im Januar 4,9 Prozent; im Februar 5,1 Prozent. Sollten die Energiepreise weiter steigen, könnten es bis zu 6,1 Prozent werden, so eine Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).
Man muss sich das mal an ein paar konkreten Zahlen verdeutlichen: Wer im Monat 3.000 Euro netto verdient, hätte bei einer Inflationsrate von 6,1 Prozent durch die Inflation real 183 Euro weniger zur Verfügung als noch ein Jahr zuvor. Und wer 10.000 Euro auf dem Konto hat, der würde innerhalb eines Jahres einen Kaufkraftabschlag von 610 Euro auf sein Erspartes hinnehmen müssen.
Wobei das noch vergleichsweise geringe Prozentwerte sind. Die Erzeugerpreise (also die Preise für Energie, Rohstoffe und alle gefertigten Produkte) stiegen innerhalb eines Jahres, das heißt von Januar 2021 auf Januar 2022, um sage und schreibe 25 Prozent. Für viele Betriebe ist das existenzbedrohend. Haben Sie schon einmal von „Heinz-Glas“ gehört? Die Firma mit Sitz im oberfränkischen Kleintettau (130 Kilometer nördlich von Nürnberg) stellt Parfümflaschen her und ist mit einem Anteil von einem Viertel an der weltweiten Produktion Weltmarktführer (ein typischer Hidden Champion). Dieses Jahr wollte das Familien-Unternehmen, das rund 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, eigentlich sein 400-jähriges Bestehen feiern. Ob es noch dazu kommt? Derzeit ist den Eignern und Angestellten alles andere als zum Feiern zumute: Dem Traditionsunternehmen droht das Aus – die massiv gestiegenen Energiepreise sind kaum noch zu schultern.
Tatsache ist: Es kommt derzeit alles zusammen. Lieferketten, die durch die Pandemie gestört sind. Rasant steigende Frachtraten. Ein Anziehen der Konjunktur nach den Lockdowns, weshalb die Nachfrage nach Rohstoffen – und damit auch die Preise – stark steigen. Ein teilweise fehlendes Angebot – viele Unternehmen hatten während Corona ihre Produktion eingeschränkt, auch Mitarbeiter entlassen, und müssen ihre Kapazitäten jetzt erst wieder hochfahren. Billionenschwere Konjunkturpakete in den USA (viele Amerikaner kündigten ihre Jobs, weil die Arbeitslosenunterstützung weitaus höher ausfiel als der Gehaltsscheck). Eine EZB, die einfach nicht bereit ist, mit dem Gelddrucken aufzuhören. Und schließlich der russische Einmarsch in die Ukraine, der vor allem die Energiepreise massiv in die Höhe schießen ließ.
Sie sehen: Es gibt Gründe en masse, dass wir das Thema „Inflation“ zum Schwerpunkt dieses Magazins gemacht haben. Jakob Schmidt legt dar, wie die Energiewende die Ära der „grünen Inflation“ (Grünflation) eingeleitet hat. In einem zweiten Artikel zeigt er auf, welche Auswirkungen die Geldentwertung voraussichtlich auf die Renditen am Aktienmarkt zeitigen wird, und welche Anlage-Alternativen Anlegern jetzt zur Verfügung stehen.
Gregor Uhlig erläutert, wie wenig aussagekräftig der Warenkorb ist, den die Bundesanstalt für Statistik nutzt, um die Inflation zu messen. Darüber hinaus beschreibt er, welchen Vorschlag der einflussreiche Wall-Street-Analyst Zoltan Pozsar macht: Nämlich den, dass die Zentralbanken als eine Arte reinigendes Gewitter einen Crash an den Finanzmärkten herbeiführen – weil ein radikales Ende mit Schrecken besser sei als ein Ende ohne Schrecken, sprich, als eine sich immer weiter hinziehende Inflation, ohne jede Aussicht auf Besserung der Lage. Schlussendlich hat Moritz Enders Thomas Mayer interviewt – der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank prognostiziert, dass die Inflation den Euro vernichten wird.
Deutschland hat im Laufe seiner Geschichte eine Reihe von Inflationen erlebt. Die heute noch Bekanntesten sind die Hyperinflation von 1923 sowie die Währungsreform von 1948 (die zwar den Beginn des deutschen Wirtschaftswunders markierte, für viele Sparer aber große Vermögensverluste mit sich brachte). Aber auch in früheren Zeiten gab es Geldentwertungen: Die sogenannten „Münzverwirrungen“ im Mittelalter – weil die jeweiligen Währungen der unterschiedlichen politischen Einheiten nur bedingt tauschbar waren, konnten politische Wirren große Vermögen auf einen Schlag wertlos machen. Und die Münzentwertungen während des Dreißigjährigen Krieges, die dadurch ausgelöst wurden, dass die Landesherren sogenannte Scheidemünzen prägen ließen, deren Nominalwert weitaus höher war als ihr Materialwert.
Eine hohe Inflation kann nicht nur zu wirtschaftlichen, sondern auch zu sozialen und politischen Verwerfungen führen. Wir wollen hoffen, dass uns ein solches Szenario diesmal erspart bleibt.