Abstiegsangst: Wie Kommerz und Corona den Profisport in seiner Existenz bedrohen

Abstiegsangst: Wie Kommerz und Corona den Profisport in seiner Existenz bedrohen

  • Mai 2021

Fritz Walter betrieb eine Wäscherei, Uwe Seeler bereiste als nebenberuflicher Handelsvertreter ganz Norddeutschland. Mit Einführung des Vollprofitums Ende der 60er Jahre ging es dann mit dem Salär der Bundesliga-Spieler allerdings rasch bergauf – mit einem Jahresverdienst von rund 500.000 Mark gehörten Weltklassespieler wie Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge schon Anfang der 80er Jahre zu den Großverdienern der Republik. Doch verglichen mit den Gehältern der heutigen Stars sind solche Summen nur Peanuts – die Nationalspieler von Bayern München verdienen weit mehr als zehn Millionen Jahr per annum, und der weltbeste Fußballer Lionel Messi soll im Jahr circa 75 Millionen einstreichen – netto.

Jahre-, nein jahrzehntelang, schritt die Kommerzialisierung des Sports ungehindert voran. Doch mittlerweile formiert sich Widerstand, wenden sich Fans in immer größerer Zahl von einem Geschehen ab, in dem statt Drama und Leidenschaft nur noch kühle Professionalität und betriebswirtschaftliche Logik regieren. Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich der Profisport derzeit konfrontiert sieht: Corona reißt gewaltige Lücken in die Kassen der Clubs und Verbände, und viele Verantwortliche fragen sich: Wie viele Zuschauer werden wiederkommen, wenn die Pandemie vorbei ist – hat die Kombination von überbordendem Kommerz sowie der Erkenntnis, dass es noch andere Dinge im Leben gibt als den Konsum von Profisport, viele Fans von ihrer Leidenschaft vielleicht entfremdet?

Zumal es noch eine Entwicklung gibt, die mit der Idee des Sports als emotionales, leidenschaftliches Geschehen konträr geht: die Verwissenschaftlichung. Natürlich stellt es kein Problem dar, wenn Forscher den Saison-Spielplan mit Hilfe von angewandter Mathematik optimieren – das ist eine Verbesserung, gegen die niemand etwas haben kann. Nein, die Rede ist von Computern, die Maschinelles Lernen beherrschen und den Sport in eine Materie verwandeln, die planbar und vorhersehbar ist, frei von Kreativität, Spontanität und Emotion. Gemeint sind darüber hinaus die Stadien, die in naher Zukunft vollständig durchdigitalisiert sein werden und eine riesige Menge an Daten generieren – für freiheitsliebende Bürger eine Horrorvorstellung, für privatwirtschaftliche und staatliche Datenkraken ein wahrer Festschmaus.

Zu dieser Entwicklung passt der gewaltige Aufschwung einer Sportart, von deren Existenz viele – vor allem die vor 1990 Geborenen – gar nichts wissen: dem E-Sport. Doch Tatsache ist, dass Wettkämpfe zwischen jungen Männern, die ein Computerspiel besonders gut beherrschen, seit einigen Jahren die großen Eventhallen in Nordamerika, Europa und vor allem Asien bis auf den letzten Platz füllen. Ist das tatsächlich Sport, wird sich so mancher fragen. Nun, Anfang dieses Jahres hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) diese Frage für sich schon so gut wie beantwortet: Das Gremium plant, die „Förderung der Entwicklung virtueller Sportarten und weiteres Engagement mit der Videospiel-Gemeinschaft” zu intensivieren. Unsere Prognose: 2024 in Paris wird E-Sport als sogenannte Demonstrationssportart getestet werden – und 2028 in Los Angeles dann endgültig zugelassen sein.

Sowohl die Fans jüngeren Alters – für die hohe Millionen-Gehälter und -Ablösesummen etwas völlig Natürliches darstellen – als auch die E-Sportler sind Kinder ihrer Epoche: die des Neo-Liberalismus. In den 1980er-Jahren trat er seinen Siegeszug rund um die Welt an. Doch das von ihm geschaffene System bekommt zusehends Risse, wie immer mehr Menschen einsehen – beziehungsweise am eigenen Leib erfahren. Die Zeichen mehren sich, dass – zumindest im Westen – neue Ideen zur Schaffung einer gerechteren Wirtschaftsordnung der Lehre des schrankenlosen Kapitalismus´ allmählich den Rang ablaufen. Vielleicht wird sich auch der Profisport heutiger Ausprägung dieser Entwicklung beugen müssen. Zu hoffen ist es.

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