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Reise ins Ungewisse: Die EU in der Krise
- Januar 2019
Die EU muss sich an verschiedenen Fronten mit gravierenden Problemen herumschlagen. Isoliert betrachtet wäre vermutlich jedes Problem zu lösen. Doch aktuell ist ein gewisses Klumpen-Risiko zu beobachten, weshalb die gemeinsamen Strukturen einer erheblichen Belastungsprobe ausgesetzt sind. Erschwert wird die Situation wegen des Mangels an demokratischer Legitimation in vielen Institutionen. Viele Mitgliedsländer begehren auf, weil sie ihre nationalen Interessen in den Gremien nicht vertreten sehen. Besondere Spannungen entstehen, weil kein einziges Land ernsthafte Austrittspläne verfolgt. Stattdessen wollen sich neue Regierungen – vor allem aus dem rechten Lager – Einfluss in Brüssel sichern. Diesen Einfluss haben bisher die linken Parteien mit einiger Hemmungslosigkeit geltend gemacht – und zwar unter Ausnutzung aller Hinterzimmer-Taktiken, die es im politischen Geschäft so gibt.
Besonders fatal für die EU ist die Lage in Frankreich: Präsident Emmanuel Macron war mit dem Versprechen angetreten, mehr EU nach Europa zu bringen und die Integration zu forcieren. Im Zuge der Gelbwesten-Proteste hat sich das EU-Versprechen Macrons in Luft aufgelöst. Frankreich muss mehr Schulden machen, was vor allem in Deutschland mit Argwohn betrachtet wird.
Die Schwäche Macrons wird vor allem von Italien ausgenutzt. Die italienische Regierung muss ihrerseits teure Wahlversprechen finanzieren. Gemeinsam mit Österreich, Ungarn und Polen setzt Lega-Chef Matteo Salvini auf eine starke Achse, die einen Machtwechsel in Brüssel erzwingen soll.
Der bevorstehende Abgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nämlich ein Vakuum geschaffen, weil Deutschland nicht mehr ungefragt – und vor allem im Süden auch ungeliebt – der Schrittmacher in der EU ist. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist ebenfalls bereits auf seiner Abschiedstournee, weshalb viele Posten in den kommenden Monaten neu zu besetzen sind.
In diese Phase fällt vermutlich der Austritt Großbritanniens aus der EU. Verlässlich kann noch niemand sagen, in welcher Form das Land austritt und welche Folgen der Schritt für welche Gruppe haben wird. In London etwa ist darauf zu achten, wie sich welches Szenario auf die City auswirkt, also auf das Finanzzentrum inklusive des britischen und globalen Geldadels. Die Interessen dieser Gruppe sind diametral andere als jene der einfachen Briten, deren Einfluss auf den Gang der Dinge trotz des Referendums sehr begrenzt ist.
Mit dem Abgang der Briten verschiebt sich die Balance innerhalb der Rest-EU: Frankreich und Deutschland würden tendenziell wichtiger, sind aber innenpolitisch geschwächt und von einer gemeinsamen Linie weiter entfernt denn je. Die Kommission ist auf Abruf. Das EU-Parlament ist voll mit dem Wahlkampf beschäftigt. Die EU-Wahlen sind in diesem Jahr vermutlich bedeutender als üblich. Erstmals wollen die Rechten die Phalanx von Konservativen und Sozialdemokraten durchbrechen. Wegen der stets geringen Wahlbeteiligung könnte das Vorhaben gelingen. Die EU wird dadurch nicht besser oder schlechter. Die Finanzströme aus den Steuermitteln werden allerdings in andere Säckel fließen, weshalb der Kampf mit besonderer Erbitterung geführt werden dürfte.