Emmanuel Macron war zur Präsidentschaftswahl ohne Programm angetreten. Gut vorbereitet war lediglich die Machtübernahme, die Macron mit seiner neuen „Bewegung“ von langer Hand geplant und so durchgeführt hatte, dass die ruhmreichen französischen Sozialisten zur Splitterpartei degradiert wurden. Die meisten Beobachter hatten kein Problem mit der inhaltlichen Leere des früheren Investment-Bankers. Schließlich bot er Marine Le Pen die Stirn, die in Frankreich vom Establishment als nichts weniger als die weibliche Reinkarnation des Nationalsozialismus dargestellt wurde. Ohne Le Pen und ohne die Eliminierung des Konservativen Francois Fillon, der über eine haarsträubend dumme Geschichte des Nepotismus gestolpert war, wäre Macron niemals an die Macht gekommen.
Macron, der zuvor für die Londoner Investmentbank Rothschild gearbeitet hatte, zeigte nur in einem Punkt klares Profil: Er wolle Frankreich wieder zu einer militärischen Weltmacht machen. Macron verstärkte das Engagement in Syrien und sparte nicht mit Pathos, wenn es um die neue Rolle Frankreichs in der Welt ging. Doch selbst im militärischen Bereich war es bisher mehr Schein als Sein, was Macron zu bieten hatte: Die Franzosen sind mit einigen tausend Soldaten in Syrien, die die verschiedenen Söldnertrupps und die von Frankreich finanzierten NGOs unterstützen. Das ist nicht viel im Vergleich zu den großen Tönen.
Zwei wichtige Gruppen, die auf Macron gehofft hatten, zeigen sich nun ernüchtert: Für die Finanzwelt analysierte die Financial Times, dass es Macron nicht geschafft habe, Koalitionen zu schließen, um politische Ziele durchzusetzen. In der EU schaffte es Macron nicht einmal, seine neue „Bewegung“ in eine der Fraktionen im EU-Parlament einzubringen. Aus Berlin erteilte Bundeskanzlerin Angela Merkel Macrons hochfliegenden Plänen eine Abfuhr. In Deutschland sind im aktuellen politischen Klima weitere Integrationsschritte nicht durchsetzbar, ohne die euroskeptische Opposition von links und rechts zu stärken.
Dem größten Widerstand sieht sich Macron jedoch ausgerechnet dort gegenüber, wohin ihn die Medien als liberalen Hoffnungsträger geschrieben hatten – in Frankreich selbst. Seit Wochen wird das Land von einer massiven Streikwelle lahmgelegt. Die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst denken nicht daran, sich Macrons Privatisierungs- und Austeritätsplänen zu beugen. Die Air France geriet durch die Turbulenzen an den Rand der Pleite – was höchstens jene freuen kann, die auf mehr Marktanteile im europäischen Luftverkehr spekulieren.
Macron agiert mit der Arroganz, wie sie Investmentbankern eigen ist: „Ich entschuldige mich keinesfalls dafür, dass Macht hierarchisch organisiert wird“, sagte der studierte Philosoph, der sich in seiner Master-Arbeit mit dem Machtstrategen Machiavelli beschäftigte, dem Magazin La Nouvelle Revue Francaise. Macron sagte, dass er „stolz“ auf seinen Herrschaftsstil sei: „Ich hasse es, wenn man ständig erklären soll, was die Beweggründe für eine Entscheidung sind.“
Der eher an Kontrolle als an Transparenz interessierte Regierungsstil Macrons stößt auch im eigenen Lager auf Kritik. Zwar ist seine auf die Regierungspartei „La Republique en Marche“ gestützte große Mehrheit im Parlament nicht in Gefahr, doch insbesondere eher links-orientierte Unterstützer murren. Ihr Vorwurf: Der Präsident, der beispielsweise bei den Arbeitsmarktreformen auf Verordnungen setzte, regiere am Parlament vorbei. Zudem sei er nach rechts gerückt. Besonders übel nehmen sie es ihm, dass er mit seinem Gesetzentwurf zur Flüchtlingspolitik eine harte Linie verfolgt, nachdem er sich noch im Wahlkampf der Öffentlichkeit als Anwalt der Migranten präsentiert habe.
Mit Macron scheint sicher: Die ohnehin schon kaum noch existente Achse zwischen Berlin und Paris dürfte weiter geschwächt werden. EU-Reformen im großen Stil sind in diesem Umfeld kaum möglich. Im Brexit-Klima der EU herrscht das Motto: Rette sich, wer kann. So dürfte der als EU-Hoffnung angetretene Macron als französischer Normalo enden, der sich in einer den Zentrifugalkräften ächzenden EU nach dem Wind richten wird, um dorthin getrieben zu werden, wo es ihn am wenigsten schmerzt.