Kurz bevor Angela Merkel im März zu ihrem ersten Besuch bei US-Präsident Donald Trump aufbrach, telefonierte die Kanzlerin mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping: Beide betonten den Einsatz für freien Handel und offene Märkte. Sie sprachen über den Ausbau der Elektromobilität, wodurch die deutsche Autoindustrie in die Lage versetzt werden solle, „weiter erfolgreich im chinesischen Markt tätig zu sein“.
Es mutet absurd an, dass ausgerechnet die berechnende Planwirtschaft China plötzlich zum Anwalt des Freihandels wird. Der Wirtschaftsberater von Trump, Peter Navarro, beschäftigt sich seit langem mit China: Titel seiner Bücher wie ‚Death by China’, ‚The Coming China Wars’ oder ‚Crouching Tiger: What China’s Militarism Means for the Rest of the World’ geben bereits die Richtung vor, wie Navarro China einschätzt.
Navarro beschreibt in den Grundzügen und im Detail, wie China eine merkantilistische Wirtschaftspolitik betreibt. China offeriert seine Arbeitskräfte zur unbegrenzten Ausbeutung und seine Umwelt zur kostenlosen Übernutzung und Zerstörung für ausländische Unternehmen. Das Riesenreich behindert Importe durch Quoten und Zölle, zwingt zur lokalen Produktion in Verbindung mit chinesischen Unternehmen, es subventioniert Exporte über Steuern, verbilligte Kredite sowie finanzielle Zuschüsse und manipuliert die Währung, sodass sie systematisch unterbewertet ist. Zudem sind Patent-Piraterie und Wirtschaftsspionage ständige Begleiterscheinungen chinesischer Aktivität. Dadurch verschafft das Land seinen Exporten Wettbewerbsvorteile und behindert Importe.
Wenn Merkel in China für den „Freihandel“ kämpft, so hat dieser einen Namen: Volkswagen. Merkel will die Chinesen überzeugen, Volkswagen weiter zu begünstigen, weil der Konzern in die Krise geraten ist. Die Probleme bei Volkswagen kommen nicht von einer plötzlichen Welle des Protektionismus, sondern vom hausgenmachten Management-Versagen im Zuge der Abgas-Manipulationen. China arbeitet mit jenen deutschen und amerikanischen Konzernen gut zusammen, für die es politische Deals gibt. Unternehmen, die nicht vom jeweiligen Staatsoberhaupt protegiert werden, haben in China nicht den Hauch einer Chance.
Bisher ist China nach offizieller Einschätzung der EU keine Marktwirtschaft. Daher kann die EU Schutzzölle auf Einfuhren von Stahl und von anderen Produkten aus China verhängen. Grundlage dafür sind Übergangsregeln, die beim Beitritt der Volksrepublik zur Welthandelsorganisation (WTO) vor 15 Jahren vereinbart worden waren. Diese Übergangsregeln sind im Dezember 2016 ausgelaufen. Noch hat sich die EU nicht entscheiden, ob sie China den Marktwirtschaft-Status zuerkennt, wie es die Regierung in Peking fordert.
Europas Stahlbranche gehört zu den größten Leidtragenden einer verstärkten Aktivität in China. Hiesigen Unternehmen fällt es schwer, mit den großen Mengen billigen Stahls zu konkurrieren, die ihre chinesischen Konkurrenten auf den Markt werfen. Dem wachsenden Druck hatte sich die Europäische Kommission gebeugt und Importzölle auf verschieden chinesische Erzeugnisse erhoben. Kritiker gehen allerdings davon aus, dass dies bei weitem nicht ausreichen wird, um die Branche langfristig zu stützen. Das indische Unternehmen Tata Steel hatte sich kürzlich mit Verweis auf die Flutung der Märkte mit subventioniertem, chinesischem Stahl aus Großbritannien zurückgezogen.
Die Autoren Mikko Huotari, Jan Gaspers und Olaf Böhnke haben für das Mercator Institute for China Studies (MERICS) die möglichen Folgen eines solchen Schrittes für die Europäische Union analysiert und kommen zu dem Schluss: Es dürfte erheblich schwerer werden, künftig Anti-Dumping-Zölle auf billige chinesische Importe zu erheben, wenn die EU China als Marktwirtschaft anerkennt. Den ohnehin schon angeschlagenen europäischen Branchen könnte ein neuer Preiskrieg drohen. Die Sirenengesänge über den Freihandel von Xi sind ein Vorspiel. Deutschland wird besonders heftig gelockt, weil Peking weiß, dass die EU der deutschen Entscheidung folgen wird. Die Amerikaner sind schon einen Schritt weiter: Sie wollen sich die Reste ihrer Industrie nicht von einem globalen Dumping-Wettbewerb zerstören lassen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten weiß, wo es im Welthandel eine rote Linie ziehen muss.