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Leistung lohnt sich? Die perfekte Illusion
- Dezember 2015
Im Zuge der Flüchtlingskrise ist in Deutschland eine neue Debatte um den Mindestlohn entbrannt. Zahlreiche Institutionen geben an, es sei erforderlich, den Mindestlohn für Flüchtlinge wieder abzuschaffen. Beim Münchner ifo-Institut fürchtet man, „dass viele von ihnen bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro keine Beschäftigung finden, weil ihre Produktivität schlicht zu gering ist“. Der Vorschlag der Senkung des Mindestlohns birgt jedoch erheblichen Sprengstoff: Denn damit würde ein Einfallstor für erneutes Lohn-Dumping geöffnet, das am Ende auch die deutschen Arbeitnehmer trifft. Dabei ist der gesetzliche Mindestlohn dem Ökonom Heiner Flassbeck zufolge eigentlich noch viel zu gering. So müssten die Löhne in Deutschland „für die kommenden fünf bis zehn Jahre um mindestens fünf Prozent jährlich steigen.“
Doch nicht nur in Deutschland gibt es Bestrebungen, den Mindestlohn wieder abzuschaffen. Die EU-Kommission fordert, dass der grenzüberschreitende Liefer- und Busverkehr ausdrücklich von den Mindestlohnregeln auszunehmen ist.
Ein Bericht der EU-Grundrechteagentur (FRA) warnt allerdings vor einer weiteren Abwärtsbewegung bei den Löhnen. Der Druck auf die Arbeitnehmer sei ein „endemisches Problem, bei dem wir dringend tätig werden müssen, um Abhilfe zu schaffen“, so der Interimsdirektor der EU-Agentur, Constantinos Manolopoulos.
Tatsächlich ist das Lohn-Dumping die Folge der Globalisierung der Arbeitsmärkte: Die internationalen Konzerne verlagern ihre Produktion dorthin, wo Arbeit am billigsten ist. Wegen der steigenden Qualifikation der Mitarbeiter, etwa in Osteuropa oder in Asien, muss eine solche Verlagerung nicht auf Kosten der Qualität gehen. Zugleich haben die innereuropäischen Migrationsbewegungen dazu geführt, dass die Arbeitgeber wählerisch sein können: Wegen der hohen Arbeitslosigkeit in den Staaten Südeuropas drängen tausende gut qualifizierte Fachkräfte in den Norden. Sie treffen in Deutschland auf eine Wirtschaft, in der die deutschen Gewerkschaften zu Gunsten der Exportweltmeisterschaft über viele Jahre auf Lohnerhöhungen verzichtet haben.
Das Freihandelsabkommen TTIP würde diesen Druck weiter verschärfen. Während jedoch die Bertelsmann Stiftung das Abkommen positiv bewertet, zeichnet eine US-Studie ein ganz anderes Bild. Die von der Tufts-Universität veröffentlichte Studie sieht in den EU-Staaten bis 2025 den Abbau von 600.000 Arbeitsplätzen. Die USA werden von dem Abkommen profitieren, sagt der Autor der Tufts-Studie, Jeronim Capaldo. Ein Grund dafür sind die niedrigeren Lohnkosten. Die Industrie-Lobby ist in Deutschland traditionell kein Anwalt der Innovation, sondern Sprecher der Platzhirsche. Weil diese jedoch im High-Tech-Bereich von den USA, Osteuropa und Asien abgehängt werden, schaffen sie keine Top-Jobs mit guter Bezahlung, sondern versuchen, ihre Margen in schrumpfenden Branchen hochzuhalten. Für den Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, ist „TTIP ist ein kostenloses Konjunkturprogramm.“ Dies trifft nur dann zu, wenn man hofft, dass die Dynamik der Veränderungen im Zuge der Industrie 4.0 wieder abflaut. Der Blick auf den nachhaltigen Aufstieg der US-Technologiekonzerne Apple und Google zeigt allerdings, dass das Gegenteil der Fall ist. Auf der Strecke bleiben werden jene, die schlecht zahlen müssen, weil sie keine Zukunftsprodukte anbieten.