Die Welt im Wandel: Deutschland zwischen allen Stühlen

Die Welt im Wandel: Deutschland zwischen allen Stühlen

  • August 2015

In Europa herrschen Ohnmacht und Ratlosigkeit wegen der angeblich so überraschenden „Flüchtlings-Wellen“ aus aller Welt. Doch die Entwicklung ist eigentlich keine Überraschung: Sie ist, unter anderem, das Ergebnis des völligen Fehlens einer deutschen und europäischen Außenpolitik. Deutschland sitzt zwischen allen Stühlen – weil sich diese Position für Angela Merkel bequem anfühlte. Doch es wird zunehmend ungemütlich.

Deutschland muss daher sein Handeln auf die Weltpolitik richten. Keine Kriegs- und Krisenschauplätze dürfen ein blinder Fleck sein: Dort nämlich werden die Flüchtlingswellen ausgelöst – und es sind keine „Naturkatastrophen“, die die Menschen aus ihren Heimatländern auf gefährlichen und teuren Wegen in eine ganz und gar ungewisse Zukunft treiben. Sie werden vertrieben, weil fremde Mächte im Verbund mit lokalen Verbrecher-Organisationen und korrupten Regierungen den Bürgern der eigenen Länder zu verstehen geben, dass sie zu Hause nicht mehr „willkommen“ sind, dass sie Fremde in der eigenen Heimat geworden sind. Westliche Werte werden dort verteidigt, wo der Westen auf lukrative Geschäfte mit lokalen Diktatoren verzichtet. Lokale Diktatoren nutzen die Kriege in ihren Ländern, um noch mehr Terror aufzubauen. Sie müssen von der Weltgemeinschaft geächtet werden. Das Argument, wenn wir nicht die Geschäfte machen, machen sie andere, ist unzulässig: Wozu treffen sich die Führer der Welt denn eigentlich andauernd bei Gipfeln, wenn sie nicht genau dafür verbindliche Standards vereinbaren können?

Das Leid der Flüchtlinge beginnt nicht bei ihrem Grenzübertritt nach Deutschland. Das Leid der Flüchtlinge beginnt, wenn ihre eigene Heimat zum Spielball der geopolitischen Interessen wird: Libyen war stabil, bis der Westen unter Führung der USA mit dem Sturz von Ghaddafi das Land ins Chaos stürzte. Der Irak war stabil, bis George W. Bush ihn zum Reich des Bösen erklärte. Syrien war stabil, bis Obama sagte, Assad sei ein Massenmörder.

Die Flüchtlingsströme werden anschwellen, so lange die westliche Öffentlichkeit akzeptiert, dass die globale Außenpolitik heute nicht mehr von verantwortungsbewussten Politikern, sondern von Geheimdiensten, Wirtschaftslobbys und Militär-Apparaten gemacht wird. Es ist komplett widersinnig anzunehmen, dass in Afghanistan, Syrien oder dem Irak nicht auch ein Leben in Würde und mit wirtschaftlichem Erfolg möglich sein soll. Wenn freilich all diese Regionen nur noch als Vorhöfe von globalen Interessen gelten, in denen sich die Amerikaner ausbreiten, die Russen ihre Interessen vertreten und die Chinesen die Krisenherde für eine globale Schnäppchenjagd nutzen, dann haben die Menschen dieser Länder keine Heimat mehr. Das Mitleid, das ihnen die westlichen Gesellschaften entgegenbringen, muss nicht erst erwachen, wenn die Flüchtlinge in Zeltstädten oder Turnhallen in den deutschen Städten aufschlagen. Es muss einsetzen, wenn zu erkennen ist, dass Millionen durch eine skrupellose Politik entrechtet und somit in den Status der Flüchtlinge gezwungen werden.

Doch die Europäer dürfen sich nicht willenlos in das vermeintlich Unvermeidliche ergeben. Sie müssen den befreundeten Amerikanern in die Parade fahren und ihren Einfluss geltend machen, um die globale Zerstörung, die aus geopolitischen Erwägungen erfolgt, zu stoppen. Das Flüchtlingselend wird nur durch eine eiskalte „Realpolitik“ gestoppt, die die Unversehrtheit und die Würde des Menschen an jenen Orten durchsetzt, wo diese Menschen seit Generationen leben.

Wenn die Europäer nicht aufpassen, werden sie die nächste Katastrophe bald erleben: In der Ukraine spitzt sich die Lage zu, die NATO rasselt schon mit den Säbeln. Die NATO und Russland bereiten sich auf einen Krieg gegeneinander vor, wie eine neue Studie aus den jüngsten Militärmanövern analysiert hat. Eskaliert die Situation in Europa, werden sich weitere Heerscharen auf den Weg machen müssen, um einem neuen Krieg zu entrinnen. Das Wesen der Menschlichkeit besteht nicht nur darin, die Wunden zu heilen, die Kriege verursacht haben: Wenn man diese Kriege verhindern kann, ist es die Pflicht von moralisch intakten Regierungen, diese mit allen Mitteln zu verhindern.

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