Die Euro-Finanzminister agieren wie Banker, die einem „schlechten“ Schuldner das Messer ansetzen. Doch sie agieren ohne Netz: Die Kredite kommen nicht aus einem balancierten Bank-Geschäft, sondern von den Steuerzahlern. Die griechische Regierung beruft sich auf die Wähler. Sie hat alles Recht dazu. Die Alternative wäre die Abschaffung von Wahlen. Die Demokratie in Europa befindet sich auf einem schlechten Weg.
Die Euro-Finanzminister bekommen im Streit mit Griechenland die Rechnung dafür präsentiert, dass sie in einem Feld agieren, von dem sie nichts verstehen. Die Situation ist selbst verschuldet: Der Euro war von Anfang an ein gigantisches Kredit-Programm und kein politisches Projekt. In die Falle getappt sind Politiker wie Helmut Kohl, der den „Bimbes“, wie er Geld nannte, als lästiges Mittel zum Zweck betrachtete. Doch die echten Banken haben die Euro-Politiker längst abgezockt: Sie haben das Spiel so lange mitgemacht, wie sie das Risiko überschauen konnten. Dann haben sie sich von den Steuerzahlern „retten“ lassen und sich aus dem Staub gemacht: Das Kredit-Risiko blieb bei den europäischen Steuerzahlern hängen. Die Folgen der politischen Kredit-Bedingungen müssen die Griechen zahlen – nicht ihre Eliten oder Banken.
Man kann die linke Regierung der Syriza unsympathisch finden oder nicht. Sie hat jedoch einen Punkt: Sie wurde gewählt, um die verhasste Troika aus dem Land zu jagen. Hinter diese Versprechung kann sie nicht zurück – und sie sollte es auch nicht: Was haben der IWF oder die EZB den Griechen eigentlich zu befehlen? Es mutet in der Tat befremdlich an, dass IWF-Chefin Christine Lagarde und EZB-Chef Mario Draghi bei dem Treffen der Euro-Finanzminister herumturnten.
Weil es in Griechenland eine „humanitäre Katastrophe“ gäbe, könne die Regierung nicht einfach das alte Austeritäts-Programm weiterschreiben, so Finanzminister Yanis Varoufakis. Es sei kein Konzept für die EU, sich von „Krise zu Krise“ zu retten und die Union so weiterzuentwickeln. Griechenland wolle einen neuen Vertrag mit der EU – und fühlt sich, so Varoufakis – trotzdem an die Verpflichtungen gebunden, die die Vorgänger-Regierungen eingegangen sind. Man weiß nicht, ob Varoufakis wirklich mit offenen Karten spielt. Unbillig scheinen die Gedanken nicht.
Vor allem Wolfgang Schäuble und der Niederländer Jeroen Dijsselbloem agieren als Banker sehr hölzern. Kein Wunder: Schäuble ist seit 40 Jahren Berufspolitiker. Er kennt keine andere Welt. Als Banker ist er denkbar ungeeignet: Es fehlt ihm die Wendigkeit und die Fähigkeit, auf neue Situationen angemessen zu reagieren.
Stattdessen versuchen die Euro-Retter, sich mit faulen Tricks aus der Lage zu manövrieren: Da wird Griechenland als reformunwillig denunziert. Doch Griechenland hat nach OECD-Berechnungen sehr wohl massive Veränderungen vollzogen. Sogar die Einschätzungen von Schäubles Ministerium bestätigen dieses Urteil. Das war allerdings vor den Wahlen.
Die Troika wurde in „die Institutionen“ umbenannt, um die Wähler zu täuschen. Das Erstaunlichste an diesem Rosstäuscher-Trick ist die Willfährigkeit der politischen Klasse und vieler Medien, die die „Umbenennung“ tatsächlich mitmachen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie agieren wie die Sportreporter, die plötzlich vom „Signal Iduna Park“ reden, obwohl ihnen niemand verbieten kann, den legendären Dortmunder Sportplatz weiter „Westfalenstadion“ zu nennen. Ebenso gedankenlos wird der Begriff von den „Hilfsprogrammen“ kolportiert – obwohl es sich bei diesen Programmen um nichts anderes handelt als neue Kredite, damit die griechische Regierung die Zinsen für die alten Kredite bedienen kann.
Dokumente werden in letzter Sekunde verändert, wohl in der Hoffnung, dass der Verhandlungspartner das Kleingedruckte überliest. Schließlich wird ein „Ultimatum“ gestellt – auch das kennen wir von der ersten Griechenland-Rettung.
Doch im Streit um das Ultimatum tritt der Kern-Konflikt der Euro-Zone hervor: Demokratisch gewählte, nationale Regierungen nehmen für sich in Anspruch, die Politik der Vorgänger- Regierungen zu ändern. Auch wenn Schäuble seit 40 Jahren nichts anderes macht als Politik, sollte er sich erinnern: Genau das ist der Sinn von Wahlen. Sonst könnte man die Wahlen abschaffen. Denn die Schuldenlast der Griechen wird ihnen auf die kommenden 50 Jahre keine andere Wahl lassen, als zu tun, was ihre Gläubiger verlangen.
Politiker sind jedoch keine Banker, Völker sind keine Bankkunden, die Schäuble und Dijsselbloem ihre Vermögen anvertrauen. Die EU in ihrer derzeitigen Form ist jedoch eine Pseudo-Bank, die nichts anderes kann als fortlaufend Geld umzuverteilen. Politiker neigen dazu, es mit dem Geld der anderen nicht so genau zu nehmen – sie müssen es ja schließlich nicht verdienen. Das gilt für den sorglosen Umgang. Es gilt für maßlose Wahlversprechen. Und es gilt für die Bereitschaft zum Griff in die Tasche der anderen – auf nationaler Ebene wie von Süd nach Nord.
Wenn die Politik der Euro-Zone tatsächlich nur noch als gigantische Bank agiert, ist die Demokratie in Europa am Ende. Die weitgehende Übernahme von Regierungsfunktionen durch die EZB deutet ja schon in diese Richtung. Doch die Euro-Retter und Euro-Ideologen haben einen wesentlichen Punkt übersehen: Wenn Wahlen keine Bedeutung mehr haben und Regierungen keine Entscheidungen mehr treffen können, dann sind auch die politischen Parteien obsolet: Man braucht keine „Gesinnungsgemeinschaften“ mehr, weil einige Zentral-Stellen das Leben der Bürger regulieren. Das Geschäftsmodell der Parteien wäre hinfällig.
Es ist kein Zufall, dass es entgegen allen Beteuerungen aus der ersten Griechenland-Krise kein staatliches Insolvenz-Recht gibt. Der moralische Bankrott der als „Friedensprojekt“ verkauften europäischen Einigung gilt für die Parteien und ihre Netzwerke nicht als Kollateralschaden. Ob sich die Völker Europas die Schädel einschlagen, ist das eine. Dass das System die möglichst lange erhält, die von ihm leben, ist die eigentliche Priorität. Alles andere ist Schauspiel. Der Rest ist Schweigen.